„Did you get the number of that donkey cart?“

Wer schon mal vom britischen Schriftsteller Terry Pratchett gehört hat, dem wird mit Sicherheit auch die Scheibenwelt ein Begriff sein. Diese ist eine bizarre, pizzaförmige Welt, die auf dem Rücken von vier riesigen Elefanten ruht, welche wiederum auf dem Panzer einer gigantischen Weltraumschildkröte durchs All gleiten.

Bewohnt wird diese eigentlich relativ normale Fantasy-Welt von Dieben, Mördern, Zauberern, Zwergen (männlichen wie weiblichen), pensionierten Helden, Vampiren, Drachen, Hexen, Kobolden, Trollen, Göttern und sonst allem, was nur existieren kann, wenn man fest daran glaubt, wie etwa die Zahnfee oder der Sensenmann. Irgendwo in der Mitte der Scheibenwelt liegt Ankh-Morpork, eine zweigeteilte Stadt voller eben genannter Geschöpfe, von der man sagt, dass alle Wege nicht zu ihr hin, sondern eher von ihr wegführen.

Das erste Märchen von der Scheibenwelt erschien 1983 und trug den Titel „The Colour of Magic“. Eine Videospiel-Adaption des Buches erfolgte 1986 in Form eines Text-Adventures für den Commodore 64. Nachdem bis 1995 etwa siebzehn weitere Discworld-Geschichten erdacht und veröffentlicht wurden, brachte Psygnosis im Auftrag der heute nicht mehr existenten Spiele-Entwickler Teeny Weeny Games und Perfect 10 Productions ein Grafik-Adventure auf den Markt, basierend auf den erfolgreichen wie beliebten Fantasy-Werken von Pratchett.

Discworld ist ein klassisches „Point-and-Click“-Adventure in comicartiger 2D-Grafik. Das Spiel wurde für MS-DOS, Macintosh, PlayStation und Sega Saturn entwickelt und umfasste je nach System eine CD-ROM oder mehrere Disketten, wobei letztere Variante aufgrund von Speichermangel gänzlich ohne Sprachausgabe auskommen musste.

Später erschienen mit Discworld II und Discworld Noir zwei weitere Spiele aus dem Scheibenwelt-Universum, um die es hier aber nicht gehen soll. Im folgenden Review möchte ich mich voll und ganz dem ersten Teil der Discworld-Reihe widmen und euch mithin eines der großartigsten Grafik-Adventures aller Zeiten vorstellen und zugleich ans Herz legen.


Story

Alles beginnt im Schlafzimmer des jungen „Zauberers“ Rincewind, der eines friedlichen Morgens von einem aufgebrachten Türklopfen aus dem Schlaf gerissen wird. Beim Blick aus dem Fenster erspäht er im fernen Hintergrund ein gewaltiges, rotes, drachenähnliches Etwas, das sich an die Spitze des Patrizierpalastes geklammert hat. Ob es das ist, weswegen der Erzkanzler ihn sprechen möchte?

Rincewind wird beauftragt, das Versteck des Drachen ausfindig zu machen, ehe dieser Unruhen verbreitet. Er soll im Namen der Unsichtbaren Universität beweisen, dass Zauberer entgegen aller Annahmen doch einen Nutzen haben. Außerdem sei er aufgrund seiner hohen Entbehrlichkeit genau der richtige Kandidat für eine solch gefährliche Mission, denn er versteht von Zauberei etwa so viel wie von Atomphysik, ja selbst das Wort Zauberer auf seinem Hut ist falsch geschrieben.

Mithilfe seiner laufenden Truhe aus intelligentem Birnbaumholz macht Rincewind sich auf den Weg, die vom Erzkanzler verlangten Gegenstände zum Bau eines Drachendetektors aufzutreiben. Er findet schließlich den Drachen und erfährt, dass dieser gegen seinen Willen von einer machtgierigen Untergrund-Organisation beschworen worden ist. Nachdem die Kreatur an jedem einzelnen Mitglied der Bruderschaft Rache genommen hat, geht es schließlich Rincewind selbst und der ganzen Stadt an den Kragen.


Gameplay

Das Prinzip des Spiels ist schnell erklärt: Man läuft von Ort zu Ort, redet mit Leuten, sammelt Gegenstände ein und kombiniert diese möglichst sinnvoll mit der Umgebung. Dabei wird die Figur mithilfe eines Mauscursors über den Bildschirm bewegt. Gegenstände, die man einsammelt, werden in der Truhe gelagert. Gespräche werden durch das Anklicken von Emotions-Symbolen geführt. So kann Rincewind wählen, ob er freundlich, neugierig, zornig oder sarkastisch sein möchte.

Meistens besteht die Aufgabe des Spielers darin, einen bestimmten Gegenstand zu besorgen. Um diesen zu bekommen, muss er jedoch immer erst eine Reihe anderer Aufgaben bewältigen, die mitunter an Perversion und Irrwitz nicht zu übertreffen sind und den Spieler oftmals an den Rand der Verzweiflung treiben.

Im Nachhinein machen fast alle Rätsel irgendwie Sinn und sind nachvollziehbar, jedoch würde ein normal denkender Mensch z. B. niemals auf die Idee kommen, eine Krake zusammen mit klumpigem Pudding in ein Plumpsklo zu stecken, bloß um an eine goldene Gürtelschnalle zu gelangen. Darauf muss man erst einmal kommen, und es gibt viele solcher absurder Rätsel in Discworld.

Wer zum ersten Mal und ohne Lösung spielt, wird irgendwann nur noch planlos durch die Gegend laufen und anfangen, aus lauter Verzweiflung irgendwelche Frösche mit Straßenlaternen o. Ä. zu kombinieren, weil nichts Anderes mehr funktioniert. Erschwert wird das Ganze im zweiten Akt, wenn man zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin- und herspringen muss und eventuell gänzlich den Verstand verliert.

Hier ist wirklich ausgetüftelte Kombinationsfreudigkeit, abstraktes Denken, knallharte Ausdauer und vieeel Geduld gefragt, ansonsten greift man wohl schnell zum Spieleberater, nur um endlich dieses eine blöde Rätsel mit dem Passierschein lösen zu können. Oder man zeigt so viel Disziplin und redet wirklich konsequent mit jeder Person und untersucht jeden Gegenstand doppelt und dreifach, bis man den entscheidenden Hinweis zur Lösung des Problems findet.

Manchmal muss man auch einfach nur genauer hinsehen, vielleicht weil man zuvor etwas übersehen hat. Eigentlich ist es im Sinne des Drehbuchs sogar anzuraten, intensiv mit jeder Person zu sprechen, weil man nur so in den vollen Genuss der fantastisch intelligenten Dialoge von Discworld kommt, egal ob sie einem weiterhelfen oder nur der Unterhaltung dienen. Irgendwann kommt man sowieso hinter jedes Rätsel und was ist schon ein Adventure, bei dem man nicht auch mal (oder unentwegt) etwas verquer denken und originell sein muss?


Grafik

Discworld überzeugt durch farbenprächtige, handgezeichnete Hintergründe und liebevoll animierte 2D-Figuren. Alles ist knallbunt und strotzt vor Details, als wäre ein Comicheft lebendig geworden. Die Figuren strahlen Stil und Persönlichkeit aus und wirken so, wie man sie sich als Leser der Romane vorstellen würde.

Die Entwickler haben es geschafft, die Scheibenwelt und Ankh-Morpork einem mittelalterlichen Märchen entspringen zu lassen. Dieser tolle, einzigartige Comiclook wird eigentlich nur von Discworld II übertroffen. Gelegentliches Bildstocken bei zu viel Bewegung auf dem Bildschirm tut dem Ganzen keineswegs einen Abbruch.


Sound

Die Geräuschkulisse von Discworld ist schlicht großartig! So verfügt das Spiel nicht nur über eine ganze Palette schräger, lustiger Soundeffekte sondern bietet darüber hinaus eine hochwertige Sprachausgabe, die deutlich über den damaligen Standards der Videospiel-Industrie liegt. Hierfür hat man sich bekannte Namen wie Eric Idle (Monty Python), Jon Pertwee (Dr. Who) und Tony Robinson (Blackadder) ins Boot geholt, die den Figuren in Discworld ihre markanten Stimmen verleihen.

Jede noch so kleine Zeile im Spiel ist exzellent vertont worden, hier hat die Sound-Abteilung ganze Arbeit geleistet. Die Dialoge legen eine derartige Professionalität an den Tag, dass sie kaum intelligenter und witziger rüberkommen könnten. Allein der britische Akzent mancher Sprecher verleiht dem Spiel eine ungemein wertvolle Würze, die den typisch britischen Humor von Discworld nur allzu passend unterstreicht. Begleitet wird das Ganze von einem abwechslungsreichen und ebenso gut gelungenen Soundtrack.


Fazit

Für Fans klassischer 2D-Point-and-Click-Adventures wie Monkey Island, Sam & Max oder Baphomets Fluch ist Discworld ein absoluter Pflichttitel. Der stellenweise absurde Schwierigkeitsgrad mancher Rätsel kann mitunter zur Verzweiflung führen. Hat man aber erst einmal den Dreh raus, macht ein zweiter oder dritter Durchgang plötzlich umso mehr Spaß, weil gewisse Dinge auf einmal logisch erscheinen und man sich mehr auf das Außenrum konzentrieren kann als auf das Lösen der Rätsel. Außerdem macht es einfach Spaß, bestimmte Szenen noch einmal zu erleben.

Der bunte Comiclook macht das Spiel in jeder Hinsicht liebenswert und verzeiht auch so manchen technischen Fauxpas, z. B. wenn das Bild mal stockt oder alles ein bisschen langsamer läuft, weil zu viel los ist. Den besten Zug machten die Entwickler aber mit der Verpflichtung namhafter Synchronsprecher, die dem Spiel eine ausgezeichnete Sprachausgabe verleihen und damit maßgeblich zum wahnwitzigen Humor von Discworld beitragen.

Man muss keinen Scheibenwelt-Roman gelesen haben, um an diesem Adventure Freude haben zu können, dafür sorgt das Spiel von selbst. Es gibt auch keine eindeutige Buchvorlage, man hat sich einfach verschiedener Ideen und Figuren aus den zahlreichen Büchern bedient und eine eigene Geschichte erschaffen. Diese ist nicht genial oder episch ausgefallen, zeigt aber deutlich das Talent der Macher, die mit dem gesamten Skript ein kleines Meisterwerk der Unterhaltung geschaffen haben. Insgesamt präsentiert sich Discworld als rundum gelungenes Grafik-Adventure mit kleinen Schwächen, aber auch großen Stärken.